[ “Kanzer” Originale ]

Wie mancher gelesen haben wird, bin ich in einer Mühle aufgewachsen und zwar in der sogenannten Hölzleinsmühle, die oberhalb der Stadt Bayreuth zwischen Laineck und Sankt Johannis am Roten Main steht. Und da mein Vater aus Sankt Johannis stammte und seine Eltern und Geschwister noch dort wohnten, lernte ich die im Dorf lebenden "Originale" teils persönlich, teils aus deren Erzählungen näher kennen.

 

Eines dieser Originale war der Häfner's Christian, der aber von allen Leuten nur der "Fak" genannt wurde, weil er zwar nichts gelernt hatte, aber trotzdem für alles zu gebrauchen war, denn er war ein richtiges Faktotum, halb Bauernknecht, halb Tagelöhner, zeitweise auch Fabrikarbeiter, eben ein "Dienstbote für alle Gelegenheiten". Er hütete die Kühe, half seinen Nachbarn wenn sie einen "Pollander" brauchten und erledigte auch Botengänge.

Dieser arme Mensch war - wie soll ich sagen - ein wenig seltsam, nicht etwa debil oder gar verblödet, nein im Gegenteil, er war ziemlich gewitzt und vor allem hatte er eine "Poetische Ader", die er bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit ins Spiel brachte. So arbeitete er auch einmal eine Zeitlang in einer Weberei als "Aufsteckerla", das heißt er mußte an den Webstühlen die Spulen aufstecken, und als ihn einer seiner Nachbarn fragte: "No – Christian, wie gfellt's der denn in der Fabrik?", da gab er folgende gereimte Antwort:

Weebm is a scheens Leebm,
aber Aufsteck'n - do kennst verreck'n.

Ein andermal hatten die "Kanzer" (so nannte man die aus St. Johannis) gemeinsam einen Waggon Kohlen geordert, der dann unter der arbeitenden Bevölkerung aufgeteilt wurde, was dem "Fak" wieder einmal Gelegenheit gab, einen Botengang zu machen und auf dem Weg sich einen gereimten Spruch auszudenken; und als er am Ziel angelangt war, da sagte er:

Lieba guta Schillings-Rettl,
sollst a moll glei noh zern Kettl,
sollst der nuch a Schwingla Kulln
miet vo seiner Hulzschlicht hulln.

Selbst die kleinste Gelegenheit war dem Christian willkommen, einen kurzen Spruch zu dicht'n. Einmal hatte er sich von seinen Nachbarn eine Kette ausgeborgt, und als er sie den Leuten wieder zurückbrachte, da bedankte er sich mit folgendem Kurzgedicht:

Etzert hobb i' eich eier Kett'n widder gerbrocht -
Ich dank schee - guttera Nocht!

Nach dem ersten Weltkrieg, als die Not am größten war, gingen die Bayreuther auch in der Kanzer Gegend Kartoffeln stehlen und die Bauern stellten natürlich Wachen auf um ihr Gut zu schützen. Und eines Tages fand man einen Bayreuther namens Zeißel tot in der Furche eines Erdäpfel-Feldes. Er war mit einem schweren Hammer erschlagen worden. Der Hammer wurde zwar gefunden, aber nach dem Täter wurde vergeblich gesucht. Als erstes hatte man natürlich die Kanzer in Verdacht und jeder fragte sich wer's wohl gewesen sein konnte. Da ging unser "Fak" zum dortigen Metzgermeister Meißel und sagte zu ihm:

Sie senn doch der Herr Meißel?
Sie habm derschloogn na Zeißel!

Der Metzger soll ihm daraufhin mit dem Schlachter-Messer nach gegangen sein sagte man.

Aber nicht nur dem Fleischermeister, auch dem Dorfschmied stattete "Fak" einen Besuch ab und sagte ihm in seiner naiven Art auf den Kopf zu:

Sie senn doch der Kanzer Schmied -
Sie habm na gebm na letztn Hieb!

Ob ihm der Schmied - Grimm hieß er - in seinem Grimme den Hammer nachgeworfen hat, das ist mir auch nicht bekannt, aber ganz ungeschoren wird der "Fak" bei diesen Faxen wohl kaum davon gekommen sein.

Im Weltkrieg II, als es schon auf's Ende zuging und man alles einzog, was noch einigermaßen brauchbar schien, da hatten sie auch den Christian zu den Fahnen gerufen, aber als wir einmal - mein Vater und ich - in die Stadt gingen, da lief uns pfeilgrad der "Fak" in Zivil über den Weg und mein Vater, der ihn ja seit langem gut kannte, fragte ihn erstaunt:

Ja Christian - wo kummst'n du her? Ich denk du bist bei die Soldot'n! Host du ebber Urlaub? Worauf der "Fak" in gereimter Form ein rundes Dutzend guter Gründe anführte, warum er aus der Wehrmacht entlassen worden war. Ich weiß sie nicht mehr alle, aber einige, die mir noch in Erinnerung geblieben sind, will ich hier gerne aufzählen:

erscht'ns weecher 'm Schießn,
zweit'ns weecher 'm Grieß'n,
dritt'ns weecher 'm Bett'n mach'n,
und viert'ns ieber 'n Unteroffizier lach'n ...

So ging das lustig weiter, bis wir beide - Vater und ich - selber lachen mußten über ihn. Und dann erzählte er uns, wie das war mit dem "Betten machen". Er hatte also sein Bett gebaut, so wie er glaubte, daß es recht war, aber dem Unteroffizier gefiel das nicht und er warf das ganze Bettzeug heraus auf den Fußboden. Da sagte der Christian: "des konnst jetzat selber widder nei richt'n wenn's der net gfellt - mir hodd's gfall'n so wie 's woar!"

Ob die oberste Heeresleitung erst daran gemerkt hat, daß es sich beim "Fak" um eine Art von "Schwejk" handelte, und ob sie ihn deshalb nach Haus geschickt haben, das weiß ich nicht, aber seine "Dichtkunst" hatte unter diesen erschwerenden Umständen keineswegs gelitten. Er war nämlich jetzt bei einem Bauern als Knecht und hatte mit den Ochsen zu ackern, und weil ihm der eine der beiden zu langsam ging, brüllte er ihn an:

Hüho - Hitler
nuch a Schrittla

Und zu einem Parteigenossen soll er im Wirtshaus gesagt haben:

Wos nitzt miech denn der Ribbendropp,
wenn iech nix in der Gripp'n hobb?

Das hat seinerzeit schon ausgereicht, daß man ihn in die Irrenanstalt nach Kutzenberg brachte wo er nach einiger Zeit starb, ohne daß jemals sein Talent richtig gewürdigt worden wäre.

Damals, als der "Häfner's Fak" noch lebte, da war St. Johannis noch eine eigene Gemeinde. Und ich glaube nicht, daß die heutigen "Kanzer" sich an die Originale, die es früher dort gab, erinnern können, weil diese längst nicht mehr lebten, als die Jungen Leute geboren wurden. Und die paar Alten, die den "Fak" noch länger erlebt haben könnten, die müßten heute so um die 90 Jahre herum alt sein. Ich selber wüßte aus eigener Kenntnis schon noch ein paar andere Sonderlinge zu schildern, die in St. Johannis lebten:

Da war zunächst der "Burussen-Hans", das war einer, der geistig zurückgeblieben war. Mit bürgerlichem Namen hieß er Hans Schmidt, und er hütete die Schafe der "kanzer" Bauern. Warum man ihn den "Burussen-Hans" nannte, das wußte nicht einmal mein Vater, der 1905 geboren war, zu sagen, und weshalb die Kanzer insgesamt den Spitznamen die "Burussen" hatten, das konnte mir auch keiner aus meinem Bekanntenkreis erklären. Sie hießen übrigens auch noch "Die Ärpflbordler", weil die Ärmeren unter ihnen in der Notzeit nach dem ersten Weltkrieg gezwungen waren, Kartoffeln zu stehlen um nicht zu verhungern. "Bordlmaschina" wurden sie auch gerne genannt, was oft zu Schlägereien zwischen Kanzer und Lainecker Burschen führte.

Der "Burussen-Hans" war also ein Orts-Armer oder Armenhäusler. Er ging stark nach vorne gebückt und hatte vielleicht einen Buckel, was man wegen des schwarzen Überziehers, den er Sommers wie Winters trug, nicht erkennen konnte. Er hatte weit vorstehende gelbe Zähne, ein Nahkampf-Gebiß würde man heute sagen, und sprach daher recht seltsam. Als er einmal gefragt wurde, was man denn bei den gewissen "Damen" in der Wörthstraße bezahlen müsse, soll er gesagt haben: "Siebsich muß mer zoohln". Ob das Renten-Mark waren oder Inflations-Geld, das entzieht sich leider auch meiner Kenntnis. Wenn der „Buruss“ nach seinem Namen und Stand gefragt wurde, dann sagte er: "Hans Smitt, Säfer aus Bareith". Vom Schafe hüten allein konnte er wohl kaum gelebt haben, wahrscheinlich wurde er von der Gemeinde "Sankt Kanz" unterhalten.

Dann war da noch ein anderer, den sie den "Sänger-Barri" nannten. Mit bürgerlichem Namen hieß er Sengenberger, und wie er zu dem Spitznamen "Barri" kam, das ist mir leider auch nicht bekannt. Ihm hatten sie im Wirtshaus einmal erzählt, daß es im Park der Eremitage sogenannte "Elfertritschla" gäbe; das seien nachtaktive Tiere, deren Fell sehr kostbar und daher teuer sei, und mit dem Verkauf der Pelze könne man eine Menge Geld verdienen. Und man könnte diese an sich sehr scheuen Pelztiere sehr leicht einfangen, denn sie gehen auf's Licht zu. Man müsse sich nur Nachts in der Eremitage auf eine Baumstumpf setzen, einen Sack aufhalten und ein Streichholz nach dem andern anzünden, dann kämen sie ganz von selbst in den Sack hinein gehüpft.

Es wurde also ausgemacht, daß man dem "Barri" bei der Jagd auf "Elfertritschla" helfen wolle und in einer mondlosen Nacht fand sich die Jagdgesellschaft von Wirtshausbrüdern um 1 Uhr in der Eremitage zusammen. Den "Barri" setzten sie auf einen morschen Stock und halfen ihm seine Falle, einen Kartoffel-Sack, aufzustellen, und dann fingen sie an, ihm die legendären  Pelztiere zu zu treiben indem sie mit Stöcken an die Bäume schlugen und sich dabei immer weiter von dem "Trapper" entfernten.

Der "Barri" hatte sich gleich ein ganzes Paket Streichhölzer gekauft und zündete - wie man ihm geheißen hatte - ein Streichholz nach dem andern an, aber sein Sack blieb leer. Als dann der Morgen graute und seine Zündhölzer alle waren, da begleiteten seine Kumpane ihn mit Gejohle ins Wirtshaus, und von da an trug "Barri" den Spitznamen "Die Elfertritschn".

© Heiner Vogel

 

Druckversion
(PDF-Dokument)

zurück zur Übersicht

Kostenloser DownloadDownload
Acrobat Reader