[ Der Reißen - Hans-Gärch ]

Habe ich eigentlich schon erwähnt, daß in der mehrfach genannten Hölzleinsmühle, in der ich aufgewachsen bin, schon seit langem kein Korn mehr gemahlen wurde, sondern daß sich dort eine Messerfabrik etabliert hatte, wo Tisch- und Tafelbestecke aller Art sowie Schlacht- und Küchenmesser und sogar Mäh- und Häckselmesser fabriziert wurden? Anscheinend nicht – nun denn – so hole ich es hiermit nach.

 

Die Mühle, die noch immer steht, bestand seinerzeit zu meiner Zeit aus einem mehrstöckigen Haupt-Haus und mehreren Nebengebäuden, in denen sich neuerdings moderne Wohnungen befinden. Damals betrieb der frühere Obermüller Reiß, genannt “Reißen-Hans-Gärch“, in den Nebengebäuden eine kleine Landwirtschaft mit 5 - 6 Kühen und 2 - 3 Schweinen, sowie Hühnern, und Gänsen.

Außer der “Messer-Bude“, wie die Fabrik von den Arbeitern genannt wurde, befanden sich im Mühlen-Haus der Reihe nach: ein Betrieb zur Herstellungen von Batterien (Wunder-Batterien genannt), eine Teppichweberei in der “Fleckerlteppiche“ hergestellt wurden, und im Krieg ein Lager mit französischen Kriegsgefangenen, die beim Neubau des Bayreuther Milchhofs mitarbeiten mußten. Zuvor aber hatten sie die schweren Milchkannen hinauf bis unters Dach zu schleppen und dort einstweilen zu stapeln bis der Bau fertig war. Weiter befand sich in dem Haus ein Lagerraum, der voll war bis unter die Decke mit Schuhen und Bekleidungsstücken für NS-Organisationen, der aber bei Kriegsende von der Bevölkerung “erstürmt“ und geplündert wurde. Auch eine Schreinerei war zeitweise da, in einem der Nebengebäude.

Mein Großvater mütterlicherseits hat 50 Jahre in dieser Messerfabrik gearbeitet und starb im Jahr 1940, kurz nachdem er mit 65 Jahren in Rente gegangen war, an einer Lungen- und Rippenfell-Entzündung. Meine Großmutter und meine Eltern zogen dann 1944 in die Stadt, wo sie 1945 “ausgebombt“ wurden und wieder in der Mühle Unterkunft fanden, bis sie in der Hammerstatt eine andere Wohnung bekamen.

Der “Reißen-Hans-Gärch“ war mir, als ich noch ein Bub war, nicht “grün“ wie man so sagt, denn es ärgerte ihn furchtbar, wenn ich in seinen Wiesen umeinander hüpfte und das schöne Gras niedertrampelte, oder wenn ich auf seine Mähmaschine kletterte und an den Hebeln herum hantierte. Wenn er mich bei solchem Tun beobachtete, dann wurde er fuchsteufelswild und schrie schon von weitem: “Du Hunsdorm, ich schneid der die Ohren ab, ich loß der die Därm’ raus!“ Er zückte sogar sein Messer, aber erwischt hat er mich niemals. Seine Art zu niesen war höchst seltsam. Während andere Leute “Hatschieh“ rufen wenn sie niesen, klang es bei ihm, als hätte jemand “Hecht“ gerufen. In seiner 20 cm langen Tabakspfeife rauchte er einen Krüllschnitt billigster Sorte, vor dessen Qualm die Bremsen fluchtartig das Weite suchten. Sein Misthaufen war direkt vor unseren Fenstern und sein Odelfaß stand die meiste Zeit unmittelbar daneben.

Wenn im Spätherbst die Gänse geschlachtet wurden, dann erzählte er voller Stolz, welche Prachtexemplare seine Frau wieder harangezogen hatte, dabei nahm er Hände und Arme zu Hilfe um zu zeigen, wie lang die “Kräg’n“ seien und wie dick die “Becht“, womit die Bäuche gemeint waren. Als wieder einmal ein Schwein geschlachtet wurde, da sagte seine Frau ganz beiläufig: “eigentlich wär die anner dron gwese’n, die is vill fetter.“ Da rief er wutentbrannt: “etzert sogt sa’s, die dumm’ Sau!“ Damit war nicht etwa das tote Schwein, sondern seine Bäuerin gemeint.

Sein Ende aber war tragisch. Er hatte einen kleinen Acker ganz dicht am Main, und den pflügte er mit seinem Kuh-Gespann, aber beim Wenden gerieten die Kühe zu nahe ans Ufer und stürzten in den Bach und rissen den Pflüger samt Pflug ins eiskalte Wasser. Der Bach war zwar zum Glück an dieser Stelle nicht sehr tief, aber es war niemand da, ihm zu helfen und bis er sich und sein Vieh aus dieser prekären Lage befreit hatte, war er so stark unterkühlt, daß er todkrank wurde und ausgerechnet am Weihnachtsabend verstarb. Er ruhe in Frieden. 

© Heiner Vogel

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